Der Nachbau

Der Bau der modernen Fregatte Shtandart ist die Geschichte der Verwirklichung eines Traums; er ist das Symbol der totalen Entschlossenheit und Hingabe an ein gestecktes Ziel. Es war die Energie und der Schöpfergeist der jungen Generation, die den Nachbau des berühmten Schiffes Peters des Großen möglich gemacht hatten. Der Nachbau der Shtandart ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass nichts unmöglich ist, wenn man bereit ist, alles dafür zu geben.

Die Idee, die Shtandart nachzubauen

Die Idee zum Nachbau der Shtandart entstand vor vielen Jahren in St. Petersburg. Die Entscheidung, gerade dieses Schiff nachzubauen, lag auf der Hand: die Shtandart spielte eine entscheidende Rolle in der Geschichte der russischen Marine. Vladimir Martus wurde der Wortführer des neuen Vorhabens und Abenteuers. Er wurde der verantwortliche Baumeister, der Ideengeber und der Kopf des neuen Projekts Shtandart und später auch der Kapitän der von ihm geschaffenen Fregatte.

Schiffspläne

Von der ursprünglichen Original-Shtandart gab es keine Pläne mehr, nicht einmal in den staatlichen Archiven. Im Jahre 1988 beauftragte deshalb das staatliche Hermitage-Museum den Historiker Viktor Krainukov, alle verfügbaren Informationen über die Shtandart zusammenzutragen und deren Erscheinungsbild nachzuzeichnen. Drei Jahre dauerten diese Arbeiten. Auf dieser Grundlage wurde dann ein Modell der Shtandart für eine Museumsausstellung gebaut.

Die wiedererstellten historischen technischen Zeichnungen dienten dazu, die Konstruktionsmerkmale des Schiffes unter Berücksichtigung der Erkenntnisse des modernen Schiffbaus festzulegen. Die neue Shtandart sollte ein vollfunktionsfähiger Rahsegler alter Art werden und musste deshalb auch die neuzeitlichen Kriterien bezüglich Sicherheit und Komfort erfüllen.

Auf der Grundlage der Pläne wurde das Schiff in zwei Bereiche unterteilt, einen historischen Bereich (oberhalb des Kanonendecks) und ein einen neuzeitlichen Bereich darunter. Im unteren Bereich, wo früher Lagerbereiche für Wasserfässer, Ankertaue, Kanonenkugeln und Schießpulver waren, wurden nunmehr moderne Einrichtungen verbaut wie die beiden Volvo-Dieselmotoren mit je 560 PS, Pumpen sowie Wasser- und Dieseltanks. Ferner wurden dort die Messe, die Pantry und Unterbringungsmöglichkeiten für die Mannschaft eingerichtet. Alles oberhalb des Kanonendecks entsprach dem historischen Original: die Masten, das Rigg, die Ankerwinde, Kanonen, hölzerne Schiffsteile, Steuer und Ruder. Niedergänge und Luken wurden so originalgetreu wie möglich ausgeführt.

Team building

Der nächste Teil der Arbeiten bestand darin, noch vorhandene Unterlagen über den Schiffsbau früherer Zeiten zusammenzutragen, Geldmittel und Material für die Realisierung des Projekts zu finden und eine Mannschaft zusammen zu stellen.

Am 4. November 1994, gerade 298 Jahre nach der Gründung der russischen Marine, fand dann auf der Werft des Shtandart Clubs im Orlovsky Park eine einfache Kiellegungsfeier statt.

Am 8. April 1995 wurde der erste Spant fertiggestellt und eingebaut. Es gab eine kleine Feierlichkeit gemäß einer alten russischen Tradition: Kiel, Balken und Spant wurden gesegnet.

Das folgende Jahr war von harter, monotoner Arbeit gekennzeichnet: 44 Spanten mussten gezeichnet, geschnitten, zusammengebaut und auf dem Kiel montiert werden.

Über die Monate wuchs das Arbeitsteam. Vor allem junge Leute, die von dem ungewöhnlichen Projekt von ihren Freunden, durch die Zeitung und über das Radio erfahren hatten, kamen vorbei. Manche wollten nur mal schauen, blieben aber dann um Teil eines äußerst interessanten Abenteuers zu werden. Sie wurden angelockt von der Möglichkeit, mit ihren eigenen Händen etwas Wertvolles zu schaffen und nicht minder von der sehr freundlichen Atmosphäre auf der Baustelle.

Schwerstarbeit

Für jeden gab es jede Menge schwere Arbeit zu erledigen: Bäume fällen, Zurichten der Stämme zu Brettern, Bau und Errichtung der Spanten.

Das alles ohne Maschinenkraft. Alle Hebearbeiten und der Transport auf der Werft war reine Handarbeit mit Hilfe von selbstgefertigten Werkzeugen wie denjenigen, die unsere Vorväter benutzt hatten.

Denken wie ein Schiffbauer des 18. Jahrhunderts

Vieles musste vor Ort gelernt und ausprobiert werden – man musste versuchen, wie ein Schiffbauer des 18. Jahrhunderts zu denken. Zeitgenössische Technologien konnten auch historischen Büchern und Archiven entnommen werden.

Im April 1996 schaute die Struktur so langsam wie ein Schiff aus. Alle Spanten waren eingebaut und es wurde Zeit, mit den Arbeiten des Beplankens zu beginnen. Hierfür wurden speziell geschnittene Bohlen verwendet von 12 m Länge, 120 mm Breite und 75 mm Stärke. Das Biegen erfolgte auch auf traditionelle Art: die Bohlen wurden in speziellen hölzernen Kisten einige Stunden lang erhitzt. Diese waren mit einem Dampfbehälter innerhalb eines Ofens verbunden (der Ofen war extra für diesen Zweck auf der Werft gebaut worden). Nach Erreichen der notwendigen Temperatur, mussten die Bohlen innerhalb von 15 Minuten auf den Spanten verbaut werden. Die Qualität dieser Arbeiten war von entscheidender Bedeutung für die Dichtheit des Rumpfs.

Je mehr der Bau Fortschritte machte, desto komplexere Technologien mussten verwendet werden. Auf der Werft wurden neue Arbeitsbereiche eingerichtet: eine Schmiede zur Anfertigung spezieller Nägel und Metallteile, Einrichtungen für den Mastbau, das Seilmachen, und für Schnitzarbeiten.

Die Baumaterialien

Der Rumpf wurde aus Hartholz gebaut.

In Absprache mit der Forstverwaltung fällte unser Team Eichen in verschiedenen Vororten und in Parks.

Lärchen für die Seitenbeplankung kamen aus einem Wald, den noch Peter der Große zu Zwecken des künftigen Schiffsbaus zu pflanzen angeordnet hatte. Lärche ist das beste Holz für den Schiffsbau, weil es im Wasser nicht verrottet. Als diese Lärchen seinerzeit für den Schiffsbau einsetzbar waren, wurde Holz für den Schiffsbau nicht mehr gebraucht….. Deshalb wurde seinerzeit der Wald zu einem Naturdenkmal umgewidmet.

Auf Antrag gestattet eine Kommission der Akademie der Wissenschaften das Fällen von 30 Bäumen. Alle Bäume wurden vom Bauteam gefällt, das vorher eine Spezialausbildung erhalten hatte.

Die Bohlen wurden in speziellen Kammern getrocknet bei der erforderlichen Temperatur und Feuchtigkeit. Allerdings trat bei dieser Herstellungsphase ein außerordentliches Problem auf: keines der vorhandenen Sägewerke und Trockenkammern konnten Holz von 12 m Länge verarbeiten. Deshalb mussten die Holzstämme im Sägewerk und in der Trockenkammer von Hand bewegt werden.

Die Kiefern für die Masten wurden in Siverskaya ausfindig gemacht. Eine Herausforderung war der Transport der 22 m langen Stämme. Letztlich kam dafür ein überlanger Tieflader zum Einsatz.

Schnitzarbeiten

Die meisten Schnitzarbeiten wurden aus Lindenholz gefertigt, dem besten Holz zum Schnitzen.

Als erstes Flaggschiff war die Shtandart reich verziert mit Schnitzereien. Die neu gebaute Shtandart sah nicht weniger schön aus. Der Vordersteven ist mit einem Löwenkopf dekoriert, dem Zeichen für Kraft und Macht. Das Heck zeigt Szenen der ersten russischen Siege auf See. Das Wappen von St. Petersburg gehört natürlich dazu. 28 geschnitzte Kränze dekorieren die Geschützpforten auf beiden Seiten.

Segel und Takelage

Für Segel und Takelage wurden moderne, synthetische Materialien verwendet, die den Originalen im Aussehen sehr ähnelten. Der Gebrauch von ursprünglichen Materialien war wirtschaftlich nicht darstellbar. Hanfseile und Leinen als Segeltuch sind sehr schwierig in der Unterhaltung, weil sie sehr schnell verrotten und unförmig werden.

Die Finanzierung des Projekts

Während der ersten beiden Jahre wurde das Schiff durch puren Enthusiasmus der Beteiligten gebaut.

Baumaterialien und Werkzeug wurden mit dem Erlös aus dem Verkauf des Schoners „Sankt Peter“ gekauft, den Vladimir Martus zuvor gebaut hatte.

Der erste Sponsor kam 1996. Es war Rodrick Key, der Gründer der Ausstellungsfirma Dolphin Exhibitions.

Große Hilfe kam von den Regierungen Großbritanniens und Hollands. Beide Konsulate halfen dabei, Spenderfirmen zu finden und Wohltätigkeitsveranstaltungen zu organisieren. Einige spendeten Geld, andere finanzierten Materialien und die Ausführung verschiedener Arbeiten, die auf einer historischen Werft nicht ausgeführt werden konnten. Akzo Nobel spendete Farbe und Lacke, Volvo spendete die Motore, die Firma für Industriedesign Malachit fertigte die Pläne für den Antrieb, Firma Baltiysky stellte die Schrauben her und viele andere halfen ebenfalls. Privatpersonen und Charityveranstaltungen spendeten Geld.

Die Kanonen

Die neue Shtandart musste ihrem historischen Vorbild so ähnlich wie möglich werden. Dafür mussten die Kanonen die gleiche Atmosphäre schaffen wie auf einem früheren Kriegsschiff. Dafür musste man aber nicht die alten eisernen Gusskanonen herstellen und man brauchte auch nicht 28 Kanonen an Bord.

Die neue Shtandart hat natürlich keine Absicht, militärisch aktiv zu werden und die Kanonen würden nur unnötiges Gewicht mit sich bringen. Deshalb verfügt die Shtandart nur über sieben Kanonen, die aber alle wie richtige Kanonen feuern können und regelmäßig in Nachstellungen von Seeschlachten und Shows zum Einsatz kommen.

Ich taufe Dich auf den Namen Shtandart!

Am 30. Mai 1998 wurde das Schiff in einer Zeremonie getauft. Der Gouverneur von St. Petersburg, Vladimir Vakovlev und Herzog von York, Prince Eduard, überreichten dem Kapitän der neuen Shtandart die neue Schiffsflagge.

Der Bau der hatte sechs Jahre gedauert. Während dieser Zeit wuchsen die jungen Romantiker zu kenntnisreichen Spezialisten heran, zu Fachleuten und Handwerkern. Das Team arbeitete nicht mehr amateurhaft, jetzt waren Profis am Werk.

Die Shtandart wurde am 4. September 1999 offiziell zu Wasser gelassen.
Etwa 40.000 Zuschauer waren zugegen. Es war ein wichtiges Ereignis in der Stadt.

Ungewöhnlicher Stapellauf

Wegen Bauarbeiten an der Uferkante war es nicht möglich, das Schiff auf traditionelle Weise mittels eines Slips zu Wasser zu lassen. Ein anderes, ungewöhnliches Verfahren musste gefunden werden. Das Schiff wurde mittels spezieller Vorrichtungen näher an die Neva gebracht. Dann hob ein riesiger Schwimmkran das Schiff hoch, hob es über die in Bau befindliche künftige Slipstelle und setzte es ins Wasser.

Ein Schiff des 18. Jahrhunderts zum Segeln im 21 Jahrhundert

Nach dem Stapellauf wurde auf dem Schiff noch ein Jahr lang gearbeitet. Ein Schiff des 18. Jahrhunderts musste zum Segeln im 21. Jahrhundert ausgerüstet werden. Das Navigationssystem wurde eingebaut, die Maschinen, die Inneneinrichtung, die Takelage, die Möbel, die Segel etc...

Endlich Segeln

Im Juni 2000 setzte die neue Shtandart erstmals die Segel. Der erste Törn folgte der Route der Europareise Zar Peters des Großen. Länder, große und kleine Städte wurden besucht, wo der junge Peter 300 Jahre zuvor den Schiffbau erlernt hatte, um ein neues, stärkeres Russland zu schaffen.

Aus den Erbauern der Shtandart wurde die erste Crew. Menschen, die jahrelang an einem Traum gebaut hatten, segelten endlich ein wunderschönes Schiff. Ihren Traum hatten sie mit ihren eigenen Händen verwirklicht.

de_DEDeutsch